Politik und interreligiöser Dialog – kein Widerspruch

Trotz Säkularisierung und klarer Trennung von Kirche und Staat, ist die Teilhabe am interreligiösen Dialog auch für den Staat kein Widerspruch und kann für die Integration von Vorteil sein. Stadtrat Nino Cozzio zeigt in seinem Gastkommentar in der Wochenzeitung Ostschweiz am Sonntag (3.9.2015) auf,  warum der traditionelle Eidgenössische Bettag, seit 1832 ein staatlicher Feiertag, für den interreligiösen Dialog ideal ist. 

An der Interreligiösen Dialog- und Aktionswoche (IDA) finden im Kanton St.Gallen zahlreiche Veranstaltungen und Diskussionsrunden statt. Dass sich die Politik trotz weitgehender Trennung von Kirche und Staat daran beteiligt, hat gute Gründe. An der IDA geht es nicht nur um rein religiöse Inhalte. Frieden und gesellschaftliche Integration sind zentrale Themen. Nachhaltige Politik muss auf eine Gesellschaft hinwirken, die mit Differenzen umgehen kann. Dazu braucht sie geeignete Plattformen. Eine davon ist die IDA, die ihr den Kontakt zu weiteren Bevölkerungsgruppen vermittelt. Die "St.Galler Erklärung für das Zusammenleben der Religionen und den interreligiösen Dialog" steht für freie Religionsausübung in gegenseitigem Respekt und gegen jede Form von Intoleranz und Fundamentalismus. Die IDA folgt der Tradition des Eidgenössischen Bettags, eines staatlichen Feiertages, an dem bereits im 19. Jahrhundert in der damals politisch und konfessionell tief gespaltenen Schweizer Bevölkerung um gegenseitiges Verständnis geworben wurde.

Religiös motivierter Terror nährt bei den Menschen auf der ganzen Welt Vorurteile und Ängste. Das führt auch in der Schweiz zu gesellschaftlichen Spannungen, die sich in der direkten Demokratie in Volksentscheiden niederschlagen. Aber keine Religion verlangt die Tötung Andersgläubiger. Die religiöse Begründung Heiliger Kriege im 21. Jahrhundert dient ebenso der Verschleierung machtpolitischer Motive wie es jene der mittelalterlichen Kreuzzüge tat. Es geht dabei stets um Politik, um Macht und Einfluss, nicht um Religion. Wer deswegen eine Weltreligion brandmarkt, sei daran erinnert, dass die meisten Opfer des islamistischen Terrors Menschen muslimischen Glaubens sind. Darum muss sich die Politik am interreligiösen Dialog beteiligen. Und die Vertreter aller Religionen müssen sich klar von Fundamentalisten distanzieren und deren Terror als Verbrechen verurteilen. Sie sollen auf ein friedliches Zusammenleben hinwirken. Die Voraussetzungen dafür sind gut, denn gerade in den drei monotheistischen Religionen – Judentum, Islam und Christentum – bilden Frieden, Gerechtigkeit und Nächstenliebe tragende Fundamente.

Am Bettag endet die IDA mit einer interreligiösen Feier auf dem Klosterplatz. In unmittelbarer Nähe trennte einst die hohe Schiedsmauer, ein steinernes Sinnbild für unversöhnlich scheinende Gegensätze, die reformierte Stadt vom katholischen Kloster. Längst ist sie niedergerissen. Der Kampf ist unter Wahrung der konfessionellen Verschiedenheiten der konstruktiven Zusammenarbeit gewichen. Das nährt die Hoffnung auf das Zusammenwirken aller Religionsgemeinschaften zugunsten einer Gesellschaft, in der kulturelle und religiöse Unterschiede nicht zu Misstrauen, Ablehnung und Ausgrenzung führen, sondern in der Synthese zur Stärke werden.

 

Nino Cozzio, Stadtrat, St.Gallen

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Medienmitteilung IDA Bettag 2015.pdf
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